Celleria, spannendes aus unserer Region -
   
 

Liebe Modelleisenbahner,

die Verdichtung ist der Wesenskern jeder Gestaltung. Man muss die Dinge von innen verstehen, um ihnen authentisch äußere Form geben zu können. Im doppelten Wortsinn muss man aber auch banale Ereignisse verdichten, um eine Erzählung daraus zu machen. Nun braucht es so einige Zeit im Leben, um das mit der Verdichtung zu verstehen. Die Kunstwerkstatt Artemanos kam darum auch erst in den späteren Lebensjahren des Autors in die Welt. Doch seine Neigung zur Gestaltung war von Anfang an da. Der Josh, der bürgerlich Joachim Schulz heißt, ist nun aber auch wirklich ein seltenes Exemplar - ein echter Wessossi! Ein was?

Wessossis sind Leute, die schon lange vor dem Mauerfall sowohl im Osten, als auch im Westen, viele Jahre im Alltag gelebt haben, also recht wenige.



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Der Alltag von Josh begann im beschaulichen Heidestädtchen Celle im Januar 1949. Und schon der Sprung ins Leben war mit einem Schienenfahrzeug verbunden. Um genau zu sein, mit der Celler Straßenbahn, die damals noch durch die Altstadt fuhr. Die Oma von Josh war zu Besuch aus der Ostzone da. Die hieß damals wirklich so, denn die DDR wurde erst am 7. Oktober gegründet. Als Oma wieder nach Hause fuhr hatte sie das Stück Butter vergessen, das sie doch in die Zone mitnehmen sollte. Butter war damals kostbar! Also trabte ihre schwangere Schwiegertochter der Straßenbahn hinterher. Oma bekam ihre Butter und die Mama bekam Josh, einige Stunden später. Natürlich einige Wochen zu früh, doch er konnte es wohl gar nicht erwarten endlich auf diese Welt zu schauen.




Das war eine Welt in der es manches gab, was es heute nicht mehr gibt. Da musste Josh in den Baracken der damaligen Isolierstation des Celler Krankenhauses, für eine Vollnarkose beißendes Gas einatmen – ein unvergessliches Erlebnis. War damals wirklich alles besser? Doch ebenso unvergesslich war die Drechslerei vom Pfeifenmacher Isensee in der Bergstraße und gegenüber war die Seilerei Dollenberg zu Hause. In der Mauernstraße gab es ein echtes Waffengeschäft. Doch der frühe Traum war immer Ulrich und Renners in der Zöllnerstraße - Spielwaren so weit das Auge reichte.

Höhepunkte waren die Schützenfeste. Damals waren noch geschmückte Pferde dabei und die Schützen kamen aus allen Stadtbezirken zusammen. In froher Stimmung, aber ganz geordnet natürlich, so wie es immer ganz geordnet zuging in Celle, sogar bei der Ausstellung vom ersten Personalausweis des Josh, von der Stadt Celle, aber damals in der britischen Zone. Da war Josh mal gerade 14 Tage alt, aber nichts da - Ordnung muss sein!

Der städtische Kindergarten war damals in der Breiten Straße. Da gab es für alle verpflichtend Mittagsschlaf nach dem Essen. Die Puppen durften von zu Hause mitgebracht werden und sie bekamen in einem kleinen Festakt ihre Namen verliehen, nun ganz offiziell. Der Jahresausflug ging ins Neustädter Holz. Dort wurde die Vogelhochzeit in Kostümen aufgeführt, für die lange geübt wurde. Eine Kinderwelt für Kinder, aber geregelt und betreut. In der Freizeit konnte bei einer Sandbank, an der Mündung des Magnusgrabens, gebadet werden, der in die noch nicht kanalisierte Aller floss. Am anderen Ufer, an der Dammaschwiese, war ein großer Schilfbestand, ein Abenteuergebiet zum Verstecken. Mecki war gerade weithin bekannt geworden als Maskottchen der HÖR ZU und der Sarotti-Mohr verbreitete ein Flair von Ferne und Abenteuer, so wie das Eis von Talamini, das den Traum von Italien in die Fritzenwiese an die Aller brachte. Dann begann für Josh die Schule, die damals noch kein Ernst des Lebens war, wie sein Lächeln bei der Einschulung im April 1955 in die Altstädter Schule 1, den Glaskasten, erkennen lässt. So geht Heimat!

Damals hatte JOSH noch keine Modellbahn, aber jede Menge Wiking-Autos, einige noch ohne durchsichtige Fensterscheiben. Er hat sie heute noch, als Raritäten und als Symbole für Kontinuität.

Eine Werkstatt – Eine Philosophie – Ein Leben!

Doch das Leben hält nicht nur freundliche Seiten bereit. Der Vater wurde arbeitslos. Das Haus in Celle war nicht zu halten und so zog es den Vater 1957 in seine Heimat nach Fürstenberg/Oder. Josh war begeistert. Oma und Opa, das große Grundstück kannte er von Besuchen, Ziegen im Stall und Hühner und Kaninchen - einfach toll! Besonders zog ihn der Bahnhof an. Da dampfte und zischte es. Die Dampfloks der Reichsbahn zogen ihn magisch an und wenn die Schranken unten waren konnte man oft längere Rangierfahrten beobachten. Da mussten dann auch die großen Ikarus-Busse warten, die mit ihrem mächtigen Heck imponierten. Doch das Warten war eine Übung, die im Alltag allgegenwärtig war. Und so schwankte die Gemütslage zwischen Geduld und Fatalismus. Doch der Zusammenhalt der Menschen war prima, weil jeder etwas hatte, was der andere brauchen konnte. Und so tauschte man, Klodeckel gegen Trabbireifen, Maschendraht gegen Lackfarbe und bei guten Beziehungen gab es auch Bückeware, das ist Mangelware, wie z.B. Bananen, die man für Freunde mit Bücken unter dem Ladentisch hervorzaubert.


Aber eine kindliche Seele die im Westen gelernt hat, dass man immer die Wahrheit und seine ehrliche Meinung sagen soll, ist in einem totalitären System verloren. Die Schule in der DDR kannte nur eine Wahrheit: Die Partei hat immer Recht und der Sozialismus siegt! Wer nun aber den Mecki kennengelernt hatte und in der 3. Klasse auch schon Sigurd und Akim lesen konnte, der hatte zu den Texten der Trommel und Frösi natürlich einige Fragen. Und wenn die hartnäckig kamen und im Rahmen des sozialistischen Menschenbildes nicht zu beantworten waren, führte das zwangsläufig, als sozialistische Selbstverteidigung, zu gelenktem Mobbing, wie man das heute nennen würde. Die Zeit wurde schwierig und die anfängliche Begeisterung wich dem realen Sozialismus mit totalitärem Gesicht.

Rumpelmännchengeld

Doch der Drang nach Gestaltung und Schönheit ist wirklich unbesiegbar. Den kindlichen Ausweg hielt Josh alsbald in der Hand. Von seinem Rumpelmännchengeld, aus dem Erlös vom Altstoffhandel, hatte er sich den ersten Güterwagen mit Bremserhäuschen von Piko gekauft. Sein heißer Wusch war eine Eisenbahn. Weihnachten 1958 fuhr dann seine erste Gützold-Lok auf einem einfachen Schienenkreis und der große, schwarze Piko-Trafo mit der gelben und grünen Lampe trieb sie an. Welch ein Jubel! Das war der endgültige Beginn eines Lebens mit der Modellbahngestaltung.



Eine Werkstatt – eine Philosophie – ein Leben!

Doch das wusste Josh damals noch nicht. Was er aber wusste war, dass es nun weiter geht mit der Modellbahn. Monate später hatte Josh vier Quadratmeter des Wohnzimmers okupiert. Piko und OWO, Auhagen und der Landschaftsbaukarton von Scheffler, Sehen und Gestalten, bestimmten das Bild. Dazwischen fuhren die Wiking-Autos vom Klassenfeind. Josh hatte keine Ahnung, dass das bereits eine Flucht nach innen war, ein kindlicher Ausweg in ein besseres Land das glücklicher macht. Dabei war man in der DDR durchaus kultiviert. Klassische Musik war hoch im Kurs und je weiter ein Kulturgut zurücklag, umso mehr wurde es geschätzt. Sogar die lateinische Sprache diente im Alltag der Absicht alles zu vereinigen. Ein Duo sind nunmal zwei und sanare heißt heilen, Uneinigkeit beseitigen, wieder zur Vernunft bringen, im sozialistischen Sinne, versteht sich. Da gab es dann auch den Alleskleber mit dem kultivierten Namen Duosan. Nun, alles heilen konnte der bei weitem nicht, aber die Häuser von Auhagen, die Josh heute noch hat, sind untrennbar mit Duosan verbunden. Und so sind auch noch Reste von Schefflers Begrünungsfasern an den Gebäuden vorhanden. Sie haben alle den Sozialismus überlebt. Und Josh auch!

Die Konflikte nahmen zu und als dem Herrn Schulz in der 10. Klasse mit Jugendwerkhof, dem politischen Jugendgefängnis der DDR, gedroht wurde, musste er seine Modellbahnwelt verlassen. Am 16. April 1965 hat er die Grenzsperren und den Minenstreifen der DDR durchquert und ist zurück nach Hause gegangen.

In seiner Heimatstadt Celle war nun alles verändert. Die Straßenbahn war weg. Karstadt hatte ein neues Haus am alten Platz und es gab Beatschuppen mit Schwarzlichtröhren, die jeden Fussel auf der Jacke anstrahlten, Miniröcke der Mädels, ob die figürlich passend waren oder nicht, bügelfreie Nyltesthemden, Hosen mit Schlag und schmale Lederkrawatten. Geraucht wurde Peter Stuywesant und das gängige Transportmittel für Teens war die Kreidler Florett. Ein Transportmittel der anderen Art war natürlich die Monja, von den Flippers, das Clinchsoftie, als Gegenpol zum Beat. Alles gar nicht so leicht zu verarbeiten für einen Wessossi, der noch vor wenigen Monaten Politunterricht von der Pionierleiterin im blauen FDJ-Hemd erhalten hatte und im Klassenkollektiv zum Fahnenappell angetreten war!

Aber es gab auch Vertrautes. Das Rathaus und das Schloss hatten noch die sandfarbenen Fassaden aus der Kindheit, während in den großen Städten die 68er die Republik aufmischten. Alles war im Umbruch, auch in Celle. Da hat sich doch der Fahrer des betagten Borgward, in gesellschaftlich legitimierter Verachtung der Regeln des Establishments, so einfach auf den Parkplatz gestellt, der damals für vier Taxen vorgesehen war. Natürlich rief das die Ordnungshüter auf den Plan. Die kamen zwar noch im eleganten BMW 501, trugen aber schon die ganz neue Uniform in Beige und Moosgrün. Ebenso neu war der Krankenwagen, der dort gerade auf den Markt einbog. Der Mercedes 200 war eben erst vom Band gelaufen. Die Post, die gerade im Rathaus abgeliefert wird, kam routiniert im alltäglichen VW Käfer. Der läuft und läuft und läuft. Fast ausgelaufen ist aber das kleine Goggomobil von Fa. Glas, schon damals ein antiquierter Sonderling, ebenso wie die BMW Isetta.

Brav und bürgerlich wurde man noch mit Rock und Rüschenbluse von der Mama aus der Schule abgeholt, während der freche Minirock sexy die Welt provozierte. Die Arbeiter, die von der Schicht kamen interessierte das allerdings genau so wenig wie die mit Tüten und Taschen bepackten älteren Frauen. Der Langhaarige scheint jedoch mit den Teens eine massive Debatte zu führen. Eine Zeit im Umbruch. So entstehen lebendige Modellbahnlegenden, als authentisches Abbild der Wirklichkeit der jeweiligen Zeit.

Technischer Großhandelskaufmann ist der Josh geworden und da hat er viele neue Werkzeuge kennengelernt, die heute für seine professionelle Modellbahngestaltung unentbehrlich sind. Doch der Ruf des Schicksals war anders. Josh bekam die Gelegenheit eine Eignungsprüfung an der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen zu absolvieren. Er durfte auch ohne Abitur immatrikulieren. Nun wurde Josh Lehrer. Natürlich war er als gelernter Kaufmann für das Fach Arbeitslehre-Wirtschaft prädestiniert. Doch es ist selbstverständlich, dass die Affinität zur Schönheit ihn auch die Fächer Werken, Kunst und Musik belegen ließ. Zuhause fuhr nun aus Platzgründen die Bahn in Nenngröße N, Maßstab 1:160. Schwerpunkt waren für Josh dabei immer die Dioramen, die auf kleinem Raum sowohl mehr Gestaltungspräzision fordern, als auch deren Umsetzung am Arbeitsplatz ermöglichen.

Die Märklin Minitrix fährt durch eine städtische Winterlandschaft. Das ist immer noch eine Seltenheit unter den Modelleisenbahnen. Insbesondere, weil dafür Bäume ohne Laub benötigt werden, die aber auch nicht mit endlos dicken Schneehauben abgedeckt werden dürfen um natürlich zu wirken. In Spur N müssen die feinen Zweige der Bäume noch filigraner sein als in H0. So hat Josh eine Technik entwickelt mit der es sogar im Maßstab 1:160 möglich ist, die feinen Eiskristalle von Raureif an einzelnen, freistehenden Zweigen abzubilden.

Die Diesellok V 200 zieht den Gleisreinigungswagen von Roco an einer, dicht am Gleis gelegenen, kleinen Siedlung vorbei. Der Gestaltungsschwerpunkt liegt hierbei auf den Sträuchern und Bäumen, deren natürliches, flaches Laub auch in Spur N noch die einzelnen Blätter, an feinen, freistehenden Zweigen, erkennen lässt.

Die rote Diesellok von Fleischmann piccolo fährt an einem kleinen Tanklager vorbei, das offensichtlich im Alpenland liegt. Die Bedachung des Hauses mit dem flachen Satteldach trägt die charakteristischen Steine dieser Region. Der weite Hintergrund zeigt einen hohen Gebirgszug, so dass das Diorama ohne Himmel auskommt. Markant ist die Vordergrundgestaltung mit vielschichtigem Bewuchs und teilweise sehr hohem Gras.

Die Lehramtsprüfung war bestanden und die Dioramen hatten einen Umzug vor sich.

Nach der Heirat wurde in Westberlin, der Heimatstadt der Wiking-Autos, unterrichtet. Zwei Jungs kamen in die Welt und da wurde oft Urlaub gemacht im schönen Lande Angeln, zwischen Schleswig und Flensburg. Erholung von der Stadt auf angemessene Weise. Eine echte Dampflock mit historischen Wagen fuhr die Familie durch blühende Rapsfelder. Die nördlichste Museumseisenbahn, die Angelner Dampfeisenbahn, fährt dort attraktive Sonderfahrten. Für Eisenbahnfans Erholung pur. Die Landschaft mutet eher wie im Mittelgebirge an. Radfahrer merken das. Es gibt kaum eine ebene Strecke. Eine Herausforderung für Straßen- und Trassenbau. Das ist dem letzten Gletscher der Eiszeit zu verdanken, der seinen unebenen Untergrund hier abgelagert hat. Dadurch ist die Gegend aber sehr abwechslungsreich und allenthalben von Wallhecken, den Knicks, durchzogen. Die nahe Küste lädt obendrein zum Baden oder Segeln ein.

Aber die große Stadt Berlin wurde den Schulzens auf Dauer zu hektisch. Die Schüler begannen überdies, sich zunehmend mit dem Mittelfinger zu melden. So kehrten sie zurück in den Landkreis Celle und schufen sich ein ländliches Refugium. Ein historisches Fachwerkhaus von der Weser aus dem 18. Jahrhundert wurde dort wieder aufgebaut. Gibt es etwas Besseres für romantische Gestalter? Hier entstand dann endgültig die Kunstwerkstatt Artemanos.

Eine völlige Neuentwicklung der Modellbahnvegetation war die Voraussetzung für Dioramen mit nur 6 oder 10 cm Tiefe, bei voller perspektivischer Wirkung. So können die Loks in einer echten Landschaft, anstelle in einer öden Vitrine präsentiert und auch leicht ausgewechselt werden. Diese aufwändig gerahmten Dioramen sind allesamt Unikate mit individuell gestaltetem Dioramakasten mit Geländehintergrund, einzeln erstellten Passepartouts und gediegenen Frontrahmen. Sie sind so gearbeitet, dass der Blick nach innen niemals auf eine Rahmenecke stößt, so dass der Eindruck eines Rundumblickes in die Landschaft entsteht. Das gab es bisher nicht.

Auf Messen und Ausstellungen fanden die Dioramen viele Bewunderer. Doch den Preis für mehr als einen Monat Arbeit wollte kaum jemand bezahlen. Dafür wurde Josh aber oft in interessante Gespräche verwickelt, in denen er die Herstellung zwecks Eigenbau erklären sollte. Das ist natürlich in Messegesprächen nicht möglich, doch so entwickelte sich die Idee, die Anleitungen für Modellbahngestaltung in schriftlicher Form in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen. Das lief auch gut an, jedoch ist die Materie so umfangreich, dass viele Fortsetzungen in der Monatszeitschrift entstanden. Das aber fanden etliche Leser als Beeinflussung, jeweils die nächste Monatsausgabe zu kaufen. So wurde die Reihe abgesetzt und Josh wurde gebeten ein Buch zu schreiben. Modell+Natur war geboren. Nun gibt es schon den zweiten Band und der dritte ist in Arbeit.

Eine Werkstatt – Eine Philosophie – Ein Leben!

Diese Maxime ist auf dem Weg. Und der Weg ist das Ziel.





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